8. August 2019 | Neuzugänge

Was hat mehr Gewicht – Töpferei oder Malerei?

 

Ölvase, Gr., ca. 470 v. Chr. 2 AnsichtenÖlvase

Griechenland, Lekythos
Höhe 29,7 cm, Durchmesser ca. 9 cm, ca. 470 v. Chr.

Bei den Athenern, heißt es, galt der Töpfer mehr als der Maler. Aber wie geht der Wettstreit der Künste bei dieser Ölvase aus? Beim jüngsten Neuzugang der Sammlung lässt sich das nicht entscheiden, denn sie beflügeln sich gegenseitig.

Diese Vasenform, genannt Lekythos, steigt auf vom Fuß: straff, schlank und in sich gefestigt. Der Fuß verbindet den Corpus mit der Erde und erhebt sich federnd über die `empfundene´ Einziehung. Der Corpus steigt schnell und selbstgewiss zur Schulter auf, um sich ruhig zum Hals zusammenzuziehen und dann über einen kleinen Absatz sich zur genau abgestimmten Lippe zu erweitern. Die Gesamtform zeigt sich ohne Speck oder Magerkeit. Charmant sitzt der Henkel zwischen Hals und Corpus, er verbindet beides und lädt die Hand zur Berührung ein. Nicht so der Abstieg: er ist straff-kühn, aber nicht frei von Zögern. Zögern im Bereich von Henkel, Hals und Schulter. Stärker ist das Hinauf als das Hinab.

Die rotfigurige Malerei zeigt eine sehr fein gemalte (männliche oder weibliche?) Figur mit ausgestrecktem linken Arm, der wohl eine Opferung andeutet. Die Figur träge einen Himation (Mantel) und einen unbekannten Gegenstand vor der Brust.

Bei den Athenern galt der Töpfer, so las ich, mehr als der Maler, aber der Topf entsprach dem Kanon und der Tradition. Die Malerei war persönlicher und konnte leichter misslingen. Das Mäanderband, auf dem die Figur steht, war gewiss von anderer Hand als der Kopf, der mit spätarchaischer Meisterschaft gezeichnet ist. Kenner meinen, die Malerei stammte vom sogenannten ´Karlsruher Maler` um 470 v. Chr.

Die Vase war vollständig zerbrochen und ist meisterhaft restauriert worden. Da weiß ich nicht, was mehr Gewicht hat: der Vasenkörper oder die Malerei. Sie beflügeln sich gegenseitig.

Raimer Jochims, 6.8.2019

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