2. März 2023 | Aktuelles

Ethisch wirtschaften – wie geht das?

Offenbar eine Frage, die viele interessiert. Denn zum Gespräch mit Volker Schmidt-Sköries, dem geschäftsführenden Gesellschafter der biobäckerei biokaiser mit Sitz in Mainz-Kastel, kamen viele Interessierte nach Hochstadt. Mit provokanten Sätzen wie „Fünf Prozent Rendite sind genug“ hat sich der Unternehmer in den vergangenen Jahren landauf landab einen Namen gemacht. Eingeladen zu dem Abend hatten die Stiftung in Kooperation mit der Kirchengemeinde Maintal-Hochstadt.

Volker Schmidt-Sköries ist gelernter Bäcker, praktizierender Unternehmer, Unternehmensberater und Coach – und neuerdings auch Dozent, Redner und Buchautor („Der Bäcker und sein Brot“ bei Droemer). Darin beschreibt er, „wie beseeltes Arbeiten und nachhaltiges Wirtschaften gelingen“.

Als Betriebswirt lautet eine seiner zentralen Fragen: „Wie lässt sich professionelles Wirtschaften mit einer Führungskultur mit Herz und mit der Verantwortung für die Natur verbinden und in Einklang bringen?“ Er selbst ist dafür ein gutes Beispiel und die 20 Filialen und 330 Beschäftigten ein Beweis, dass die Idee trägt und das Unternehmen floriert.

Warum das so ist? VSS führt das auf das im Unternehmen gelebte Prinzip zurück, sich in der Verantwortung zu sehen: Für die Beschäftigten, für die Bauern, die das Getreide liefern, für die Müller, die es mahlen, und für die Kundinnen – und keineswegs zuletzt für das Produkt selbst: gutes, gesundes Brot, das in seiner Bäckerei die Zeit hat zu reifen, die der Teig braucht.

„Niemand kann zwei Häuser gleichzeitig bewohnen,
niemand zwei Autos zur selben Zeit fahren“

Dass die Sucht, immer mehr haben zu wollen, unsere Gesellschaft in die Irre führt und die Schöpfung ruiniert, ist für VSS klar. Und deshalb teilt er, was da ist – und er sieht den Überfluss, der existiert. „Fünf Prozent Rendite sind genug“, meint er, und verteilt den Übergewinn an alle Beteiligten seiner Lieferkette. Das spricht sich herum. Zum Beispiel bei jungen Leuten, die einen Beruf erlernen wollen. Auch deshalb hat er, anders als andere Handwerksbetriebe, keinerlei Schwierigkeiten, Azubis zu finden. Er zahlt zwar nach Tarif, doch bietet er viele andere ungewöhnliche Extras – und was noch mehr, ja was entscheidend ist: eine Unternehmenskultur, die Wertschätzung nicht nur deklamiert, sondern lebt. Einmal pro Monat trifft sich VSS mit seinen Azubis und hört sich an, welche Klagen sie haben, welche Wünsche. Und handelt, wenn sie ihm einleuchten, entsprechend. Er fordert sie aber auch heraus mit Neuem, Unkonventionellem: So werden alle biokaiser-Azubis einmal während ihrer Lehre den gesamten Zyklus des Getreides erleben, indem sie für ihr eigenes Weizen- oder Dinkelfeld verantwortlich sind und sinnlich lernen, was alles dazugehört, bevor ein Brot gebacken werden kann.

Alle Beschäftigten bei biokaiser erfahren am eigenen Leib, was diese Mentalität des Teilens und der Achtung und Wertschätzung für ihre Arbeit konkret bedeuten: So ist es Usus im Unternehmen, dass sich alle Angestellten bis zu drei bezahlte „Mußetage“ im Jahr nehmen können, etwa wenn Zeit ist fürs Kekse backen mit den Enkelkindern, ein Ausflug mit den Nachbarn ansteht oder eine Zeit zum Nachdenken nötig wird; Führungskräfte können sich Coaches nehmen und gerät ein Beschäftigter in eine private finanzielle Schieflage, hilft das Unternehmen mit einem Kredit aus.  Das ist möglich, weil sein Unternehmen ein ungewöhnlich hohes Maß an Eigenkapital hat – und das wiederum macht ihn unabhängiger von Banken. „Diese Unabhängigkeit“, betont er, „ist enorm wichtig.“

Es sind die vielen Details aus dem Alltag der Biobäckerei, die das Publikum immer wieder überrascht: Rechnet sich Ethik im Wirtschaftsleben tatsächlich? „Sogar mehr als alles andere“, meint VSS. Mit einem Umsatz von 18, 5 Mio. Euro im Jahr 2020 gehört das Unternehmen zu den größten Biobäckereien Deutschlands. Das Publikum staunt.

Auch darüber, dass biokaiser „seinen“ Bauern vertraglich abgesicherte, hohe Preisen für ihren Biodinkel oder -Weizen zahlt, damit sie verlässlich kalkulieren können; er etabliert den „Brotkorb“ für die Kund*innen, die sich die drastisch gestiegenen Preise aufgrund der Inflation nicht leisten können, und animiert andere Biobäcker in ganz Deutschland, es ihm gleichzutun. Und das heißt: erst einmal bis Ende 2024 für fünf der Basis- Produkte eine Preisbremse einzulegen und sie zu Vor-Inflationspreisen zu verkaufen. Und der gesamten Kundschaft bietet Biokaiser regelmäßig Vor-Ort-Besuche an zu seiner Wertschöpfungskette – ein Ausflug zu den Biobauern und den Müllern und in die Backstuben und Filialen, um den gesamten Prozess zu anschaulichen: Wo das Getreide wächst, wo es gemahlen wird, wo es gebacken und wo es verkauft wird.

Warum das alles? VSS, der sich zu seiner christlichem Menschenbild bekennt, schreibt es in seinem Buch ganz deutlich: „Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele?“ (aus dem Neuen Testament, Mk 8, 36)

Ein Gedanke, an dem das Publikum im Anschluss an das Gespräch noch fleißig zu knabbern hat – und das am mitgebrachten Brot der Biobäckerei auch tut. Am Ende geht man mit der ermutigenden Erkenntnis nach Hause, dass beseeltes Arbeiten und nachhaltiges Wirtschaften sehr wohl gelingen können. Wenn man es denn will.

Elisabeth Ehrhorn

  Alle Neuigkeiten